In diesem Beitrag schreibe ich auch ein wenig über meine eigene Geschichte:
Wie schwierig es sein kann, sich im Dschungel der vielen Strukturen zurecht zu finden und wie wichtig es ist nicht aufzugeben.
Wir hier in Europa sind gesegnet mit einer flächendeckenden und sehr modernen medizinischen Versorgung. Auch wenn in den letzten Jahre zunehmend die Überforderung des Systems durch Mangel von medizinischem Personal, chronischer Unterbesetzungen und steigender Inflation sichtbar wird, sind wir doch noch immer in der Gewissheit, medizinisch versorgt werden zu können.
Niedergelassene Praxen werden zwar immer mehr, die Wartezeiten sind trotzdem zunehmend lange und nicht jede oder jeder kann es sich mehr leisten eine Wahlpraxis zu besuchen. Operationen müssen meist langfristig geplant werden und leider werden nicht selten Zusatzversicherte in der Reihung vorgezogen.
Die Orientierung in dem System wird auch zunehmend schwierig, was ich in eigener Praxis beobachten kann. Die PatientInnen wissen oft nicht, welcher Facharzt für welche Beschwerde die richtige Anlaufstelle ist, genauso wenig, welche Therapierichtung wofür steht. Oft ist nicht mal noch der Unterschied zwischen MasseurIn, TherapeutIN und EnergikerIn bekannt. Diese Tatsache wundert mich aber auch wenig, da sogar vielen ÄrztInnen das noch nicht bewusst ist und es sind diese, welche die Empfehlung zur Überweisung aussprechen sollten.
Für mich sind das die Folgen der Zersplitterung des Systems, der Zersplitterung der Gesundheit.
Es wird also sehr schwierig für PatientInnen eine ganzheitliche Betreuung zu gestalten. Was ganzheitlich betreut bedeuten kann, ist sicher noch dazu ein weites Spektrum.
Ich sehe oft eine sehr gute Betreuung in einem Fachgebiet, links und rechts davon wird jedoch selten mitbetreut. Eine wirkliche Zusammenarbeit zwischen den Berufsgruppen ist meiner Erfahrung nach, nach wie vor die Ausnahme. Oft gibt es Gemeinschaftspraxen, die aber selten über gemeinsame PatientInnen sprechen und die Behandlungen zwar überlappend passieren, nur selten aber zusammen reflektiert wird. Ich möchte die Schuld nicht bei den einzelnen Berufsgruppen suchen. Schuld ist hierfür auch kein dienliches Konzept.
Zu schauen was ein kranker Mensch mit bringt und dieser wirklich braucht, kann alleine schon zum Reflektieren anregen. Dabei stößt man sehr schnell auf den Faktor Zeit, auf die Möglichkeiten der Untersuchungen und was das System bezahlt. Ich glaube ich spreche in Namen von vielen KollegInnen wenn ich behaupte, viele von uns sind eher überlastet denn unterfordert. In seiner Freizeit sich vor Bücher und Studien zu hängen, Patientenbeispiele nochmal durch zu denken oder gar im Team sich darüber auszutauschen braucht viel Zeit und wird nicht bezahlt. Und doch sind wir, die im Gesundheitsbereich tätig sind da, um Menschen, die Hilfe brauchen nach besten Gewissen und Wissen zu beraten und ihnen zu helfen. Dadurch ist es meiner Meinung nach unumgänglich, Gelerntes immer wieder neu zu hinterfragen und nach dessen Praxistauglichkeit zu überprüfen. Zusammenarbeit macht das leichter.
Ich bin es leid, wenn Menschen gegen die Schulmedizin wettern und auch, wenn sie alle anderen Konzepte als nicht wissenschaftlich abtun. Jedes für sich alleine gestellt schwächelt, so finde ich.
Die Schulmedizin ist wichtig und unabdingbar und doch sehe ich auch, dass sie sich auf ihren Lorbeeren nur all zu gern ausruht und Menschen in ihrer Ganzheit dabei leider immer wieder übersieht. Wie wichtig der Kontakt zum Menschen an sich für eine gute Befunderhebung ist und nicht nur das geschulte Wissen, kann sich jeder und jede Lesender vorstellen.
Wir haben nicht ein zu Wenig an Methoden und Untersuchungen. Ich finde, wir haben ein Zuwenig an Hinhören, Hinsehen, Hinfühlen und vor allem zuwenig Ernstnehmen von dem, was an uns herangetragen wird.
„Lassen Sie sich von keinem ihr Empfinden und ihre Gefühl dazu ausreden, auch nicht von mir!“
Das sage ich immer wieder denjenigen, die nach x Durchläufen zu mir in die Praxis kommen, welchen ich beim Erstgespräch die Antworten richtig rausziehen muss und Antworten kommen wie: Warum fragen Sie das? Als ich das zu Beginn meiner Geschichte gesagt habe wurde es immer abgetan und ich habe aufgehört darüber zu sprechen, weil ich mir echt schon dachte ich bilde mir das ein!
Ich behaupte sicher nicht, dass ich mehr Wissen und Erfahrung habe, aber was ich versuche ist, hinzuhören, denn da liegt meist das Geheimnis. Mein Wissen und meine Erfahrung sind lediglich dafür da, dieses zu entschlüsseln, nicht aber, es zu ignorieren, weil meine Tests und die vorliegenden Befunde nicht dazu passen. Und hier hilft eine Zusammenarbeit und Austausch, denn zusammen wissen wir mehr und vor allem wir erkennen mehr.
Ich kenne kaum Fälle, wo sich ein Mensch seine Beschwerden eingebildet hat.
Viel mehr Geschichten kenne ich jedoch, wo schon Jahre davor bei KollegInnen und in Ambulanzen und Privatordinationen Dinge geschildert wurden, die oft abgetan wurden und am Ende doch irgendwie erklärbar wurden. Leider meist erst dann, wenn eine ganze Reaktionskette daran gebunden ist und auch Befunde sehen, was der Mensch von Anfang an beschrieben hat.
Was ich mir wünsche für unser Gesundheitssystem ist, dass der Mensch in seiner Ganzheit und in seinen vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten wieder in den Fokus rückt und viele langwierige Gänge zu Ärzte und Therapeuten so abgekürzt werden können.
Ich wünsche mir mehr Austausch und Offenheit.
Das Bewusstsein, dass Wissen nie zu Ende ist, sondern sich immer neu entwickelt und womöglich die Gewissheit von heute, morgen schon widerlegt wird. Orientieren wir uns am Menschen der vor uns sitzt und nicht am scheinbaren Sicherheitsgerüst des Wissens, welches nur dann funktioniert, wenn es lebendig ist!
Starres Wissen ist totes Wissen.